Segeberger Zeitung Nr. 298, Dezember 1963
„Recks Radfahrwege auf dem Rhen“
Seit Ende Oktober befindet sich Albert Christoph Reck, der seit einigen Jahren im Kreise Segeberg in Henstedt am Rhen ansässig war, in Südafrika. Als ich ihn vor Monaten über dieses Reiseziel erzählen hörte, dachte ich zunächst, daß er, der von der typischen Unruhe des geborenen Seefahrers gepackt ist, wieder einmal ausfahren wollte und mußte, um nach geraumer Zeit heimzukehren. Diesmal ist es aller Voraussicht nach eine lange Reise. Reck wird Anfang nächsten Jahres die Stelle eines Lehrers an einem „Art College“, wahrscheinlich in Johannesburg, antreten. Seine Familie folgt ihm noch vor Weihnachten nach.
Die Verbindung mit Südafrika ist im vorigen Sommer geknüpft worden, als Reck mehrere Monate das Mittelmeer und den Atlantischen Ozean befahren hat. Über die Afrikareise hat Reck ein Logbuch verfaßt – geschrieben und gezeichnet. Er hat seinerzeit Auszüge daraus in der „Segeberger Zeitung“ veröffentlicht. Dieses Logbuch ging dem Tagebuch voraus, über das hier berichtet werden soll. Er nannte das Tagebuch „Recks Radfahrwege auf dem Rhen“ und behauptet, daß es ohne das Logbuch nicht zu denken wäre.
Albert Christoph Reck ist Maler, Zeichner, Spintisierer, Schreiber, Entwerfer, Graphiker und Erfinder wahrer Lügengeschichten. Er ist alles andere als unbekannt. Kunstpreise zeichneten ihn aus, seine Bilder wurden oft und vielerorts gezeigt. Und doch kennen nur wenige seinen Namen. Reck ist akademisch gebildeter Künstler mit Abitur und besitzt das Fluidum eines unakademisch-unkonventionellen Menschen, ja besessenen Autodidakten. Er ist schwer einzuordnen.
Reck ist kein Schleswig-Holsteiner oder Hamburger, wofür man ihn zwar halten könnte. Am 24. Juli 1922 wurde er in Krappitz an der Oder geboren. Ein für ihn bezeichnendes Jugendabenteuer hast er einmal in einem Brief an mich beschrieben: „Eines Sonntags ging ich heimlich an Bord des weißen Raddampfers und fuhr nach dem Bolkopark. Das war ein halber Zoo mit merkwürdigen Pflanzen. Meine Eltern hatten einen schlechten Sonntag und ich verstand hernach die Schläge nicht. Ich habe sie vergessen. Nicht vergessen habe ich die Tiere aus dem Paradies und die hohen Ufer der Oder mit ihren wiederkehrenden Wäldern, Dörfern und Städten. Und eines Tages ging ich dann zur See. Ausgerissen! Dabei blieb es. Wenn die Erscheinung verloren zu gehen drohte, ging ich zur See!“ Tiere und Pflanzen wie aus dem Paradies, der Blick vom tiefen Boot auf die hohe Stadt, das Traumschweben über einem Schloß sind Grunderlebnisse des Knaben.
Was meint Reck mit „Erscheinung“? Diese Vokabel wendet er häufig an. Sie steht bei ihm für ganzheitliches Schauen, dem sich der Blick auf das Detail unterordnet. Die Welt ist für ihn „Erscheinung“. Doch nicht „Impression“, sie ist es im Sinne von „Erscheinen“. Im Alltag und im Alltäglichen kann ihm plötzlich das Wunderbare, Phantastische, Niegesehene erscheinen. Dieser Erscheinung haftet das Flüchtige an und man wird sie eher gewissermaßen im Vorbeisehen als im Hinsehen erhaschen. Wenn Reck schreibt: “Ich bin Seemann, der das Land gerade deshalb mit großem Abstand sehen kann“, so ist das weniger eine Aussage als eine Forderung.
Als Albert Christoph Reck vor einem Jahr von seiner Afrikareise nach Schleswig-Holstein zurückgekommen war, war er für die Erscheinung dieser Landschaft hellsichtig geworden. Die schleswig-holsteinische Landschaft erschien ihm nicht als Summa in Gestalt eines einzigen Bildes, sondern in vielen verschiedenartigen Aspekten, die vielfältige künstlerische Antworten erforderten. Er plante einen Zyklus. Und da er in Henstedt am Rhen wohnte und in alle vier Himmelsrichtungen mit dem Fahrrad fuhr, Feder, Tinte und Papier parat, wählte er für den Zyklus den bereits genannten Titel „Recks Radfahrwege auf dem Rhen“. Er fuhr nach Kisdorf und Kaltenkirchen im Norden, der Alster nach bis Wilstedt im Osten, an die Alsterquellen und nach Ochsenzoll im Süden und nach Alveslohe im Westen – und zeichnete dort, was er sah.
In der neueren Kunst hat das Phänomen des Zyklus eine beträchtliche Bedeutung. Auch in der Literatur ist es zu beobachten. Reck hat schon früher Zyklen geschaffen. „Die kleine Naturkunde des Herrn Albert Christoph Reck“ zum Beispiel ist zum Frühjahr 1961 im Hans Christians-Verlag in Hamburg in Buchform erschienen. Ein Vergleich der gedruckten „Naturkunde“ von 1961 mit den gedruckten „Radfahrwegen“ von 1962 ist sehr aufschlußreich. Die Zeichnungen des Buches sind zwar Ganzseiten, doch haben sie noch Mühe, das Detail zu binden. Die wenigen Landschaften der „Naturkunde“ wirken oft als Addition ornamentaler Teilerfindungen, formal flächig, inhaltlich märchenhaft irreal. Im Text, den Reck zu den Bildern geschrieben hat, sind: braune Erde, Lehm, Moos, Heidekraut, Pilze Schlüsselworte, die in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zum Gezeichneten stehen. Reck schrieb damals: „Der Alltag wird schön von unten, vom Kleinen her“.
Die schleswig-holsteinischen Landschaften von 1962 sind nicht nur formal ganzheitlicher, sie sind es auch im tieferen Sinn: sie besitzen eine stärkere reale Lebenssubstanz. Die Landschaft wird als Raum begriffen, der von Atmosphäre erfüllt ist. Reck vermag sickerndes Licht, schwebende Nebel, eiskalte Mondnacht, frische Nässe darzustellen. Das groteske, Spintisierte und Erfundene weicht der einfachen, lapidar gesagten Wahrheit. Die Wahrheit aber erscheint wie ein Spiegel, über den Reflexlichter huschen. Da alle Landschaften von oben gesehen sind, und sich oft als Panoramen darbieten, kann man sich manchmal des Eindruckes nicht erwehren, als ob ein stets vibrierendes Wasser mit seinem wechselnden und rhythmisch bewegten Glanz über dem Bilde läge.
Reck hat einmal gesagt, daß „schon so manche Vermutung einen mutigen Dichter“ gemacht habe. Das klingt wie Aufforderung und Warnung zugleich. So sind seine Bilder nicht selten mit einer Prise Ironie gewürzt, die ihnen eine heiterer Leichtigkeit garantiert.
Es ist zu hoffen, daß der Künstler die Verbindung mit Schleswig-Holstein nicht abreißen läßt. Seine Frau hat mir erzählt, daß er auch weiterhin die Ausstellungen in Schleswig-Holstein und anderswo mit Bildern und Zeichnungen beschicken will und daß er, sollten sich in Deutschland Aufgaben bieten, zu deren Durchführung zurückkehren wird. Einstweilen wollen wir versuchen, seine Arbeit weiter zu verfolgen. Ich glaube, daß er uns noch viele zu sagen hat. Dr. Joachim Kruse